Wie kann es gelingen, die Ökobilanz der Flachglasindustrie zu verbessern?
In der 33sten Sitzung des Industriearbeitskreises Forschung & Technologie im April 2023 widmeten sich drei Experten aus Industrie und Forschung intensiv den Themen Nachhaltigkeit und CO2-Reduzierung im Hinblick auf den Klimawandel. In den einzelnen Vorträgen ging es um Nachhaltigkeit in der Baubranche, einen Softstart zur Flachglas-Wiederverwendung mit IG2Pieces und das Recycling von PV-Modulen.
Gebäudezertifizierungen gewinnen an Bedeutung
Das ift in Rosenheim klassifiziert die Umweltproduktdeklaration (EPD) als das zentrale Mittel zur Bewertung der ökologischen Leistungsfähigkeit von Produkten für die nachhaltige Gebäudezertifizierung. Zertifizierungen sind bislang kein Muss, gewinnen jedoch zunehmend an Bedeutung, weil sie beispielsweise den Wert eines Gebäudes erhöhen, Ressourcen schonen und Lebenszykluskosten senken. Weltweit gibt es mehrere Zertifizierungssysteme, die unterschiedliche Nachhaltigkeitskriterien unter die Lupe nehmen. Beispiele für solche Zertifizierungssysteme sind: BNB des Bundesministeriums (Bewertungssystem für nachhaltiges Bauen), das vom US Green Building Council (USGBC) entwickelte LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) und das bereits 1990 in Großbritannien entwickelte und 2008 novellierte Zertifizierungssystem BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method).
Für die EPD der Produkte aus Flachglas im Bauwesen gelten die allgemeinen Normen DIN EN ISO 14025 und EN 15804. Hinzu kommen bestimmte Vorgaben aus der Produktnorm EN 17074 Glas im Bauwesen – allerdings nur bedingt, da bestimmte Module auf Glasprodukte nicht anwendbar sind.
Neue Wege für die Verwertung von Flachglas
Schätzt man die weltweiten CO2-Emissionen der Flachglas-Produktion ab, so wäre laut IPCC (Intergovernmental Pane on Climate Change) im Jahr 2021 eine Waldfläche von 300.000 km2 notwendig gewesen, um deren CO2-Emissionen zu kompensieren. Dies entspricht ungefähr der Gesamtfläche Italiens. Dieser Ausstoß ließe sich maßgeblich reduzieren, wenn die Industrie gebrauchte Scheiben wiederverwenden könnte.
Isolier- und Fensterglas werden leider nur sehr selten zirkular recycelt. Eine Studie des Bundesverbandes Flachglas aus dem Jahr 2019 zeigt, dass nur ungefähr sechs Prozent des produzierten Flachglases, welches den Hersteller verlässt, auch wieder dem Flachglasofen zugeführt wird.
Die Hegla New Technology GmbH ging erfolgreich einen völlig neuen Weg, um das hochwertige Flachglas erneut verwenden zu können und entwickelte dafür ein eigenes Konzept. Laut Aussage des Unternehmens verfolgt es dabei einen holistischen Ansatz, welcher die Möglichkeit bietet, das Isolierglas in seine Bestandteile zu zerlegen, ohne die Scheiben zu zerschneiden oder zu zerbrechen. Somit können ganze Scheiben wiederverwendet werden.
IG2Pieces heißt der erste Hegla-interne Meilenstein für mehr Nachhaltigkeit in der Flachglasindustrie, welcher nun beim Entwicklungspartner AGC Europe erprobt wird. Dieser zerlegt das Isolierglas in die Einzelkomponenten und erhält dabei die Form des Glases. Diese gute Fraktionierung produziert bereits „gereinigte“ Altscheiben für das Einschmelzen in der Flachglaswanne, als auch einen Second-Hand-Werkstoff, der in Folgeapplikationen wie Fenstern, Regalen oder anderen Bauteilen wiederverwendet werden kann. Das Konzept inkludiert Folgeschritte der Verarbeitung, welche noch zu entwickeln sind.
Parallel zu diesen Entwicklungen müssen die Abbruchunternehmen zukünftig dafür sorgen, dass sie Fensterscheiben oder Glaselemente vorsichtig aus den Gebäuden heraustrennen, ohne sie zu zerbrechen. Hier gilt es, ein neues Bewusstsein zu schaffen und neue Prozesse umzusetzen.
Recycling von PV-Modulen steckt noch in den Kinderschuhen
Für PV-Module gibt es aktuell im industriellen Maßstab keine speziellen Aufbereitungsanlagen. Die Prozesse sind angelehnt an die Aufbereitung von Flachglas. Laminierte Schichten auf- und Einkapselungsmaterial abzutrennen, sind die großen Herausforderungen. Das Forschungsprojekt PVRe2 – sustainable photovoltaics beschäftigte sich intensiv damit, wie sich Recyclingprozesse von PV-Modulen optimieren lassen. Übergeordnetes Ziel dieses Projekts war es, die Nachhaltigkeit der Stromerzeugung zu steigern, indem man beispielsweise die Modul-Recyclingfähigkeit durch entsprechende Ökodesignmaßnahmen erhöht, Reparaturlösungen zur Lebensdauerverlängerung einsetzt und höherwertige Recyclingprozesse etabliert. Beim Recycling sahen sich die Wissenschaftler vor ähnliche Probleme gestellt wie in der Flachglasindustrie. Recyceln erfolgt derzeit höchstens über Zerkleinern und Trennen, daher forscht man an verschiedenen Methoden, wie sich die Bestandteile ganzer Module sauber trennen lassen.
Dazu wurden Prozesse wie Fräsen, Wasserstrahlschneiden oder Dünnschichtsägen untersucht. Je nach Verfahren ist es dabei wichtig, vorher die Schichtdicken der einzelnen Modulkomponenten zu kennen oder zu wissen, wie die verwendete Anlagentechnik mit eventuell entstehendem Glasbruch umgehen kann. Eine weitere Möglichkeit ist, die Schichten thermisch zu trennen, das birgt jedoch Herausforderungen bezüglich der Abgaszusammensetzung.
Hinsichtlich der Ökodesignmaßnahmen für Glas hat sich gezeigt, dass diese in den aktuellen Recycling- und Verwertungswegen keine nennenswerten Verbesserungen erzielen. Erst ein Closed Loop kann bessere Bewertungsergebnisse erreichen und nur spezifischere Recyclingprozesse werden zu einer höheren (stofflichen) Verwertungsrate von Materialien aus PV-Modulen führen.
07.07.2023, VDMA
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